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Echokammern und Filterblasen - Social Media bedrängen klassische Medien

Geschrieben von Felix Adank | 30. Dezember 2016 | 19:12

Eben hat eine Jury von Radio SRF 3 den Begriff «Filterblase» zum Wort des Jahres 2016 gekürt. Den Begriff «Filter bubble» hat der amerikanische Internet-Publizist Eli Pariser bereits 2011 geprägt. Weil Suchmaschinen dem User algorithmisch gesteuerte Informationen zutragen, erhalte dieser nur noch gefilterte News, so die These des Autors.

Facebook begünstigt Verschwörungstheorien

Die Jury hätte auch den Begriff «Echokammer» prämieren können: Die meisten User bewegen sich auf Social Media-Plattformen fast ausschliesslich in Umgebungen, die ihre eigene Meinung bestärken. Schlimmer noch: Sie stehen in Verdacht, die Weltsicht ihrer Follower und Freunde durch Falschmeldungen zu manipulieren. Man hat versucht, den überraschenden Wahlerfolg von Donald Trump durch diesen Echokammer-Effekt zu erklären: Die Anhänger von Donald Trump teilten (und teilen) die wildesten Verschwörungstheorien miteinander und bestärkten sich gegenseitig, dass nur ein entschlossener Quereinsteiger den Politsumpf in Washington trockenlegen könne.

Klassische Medien in Bedrängnis

Ob und wie stark Social Media die politische Meinungsbildung beeinflussen, ist unter Experten umstritten. Tatsache ist, dass sie die klassischen Medien in Bedrängnis bringen. An der Universität Bern ist eben eine Veranstaltungsreihe zur dramatischen Veränderung der Schweizer Medienlandschaft zu Ende gegangen («Medien im Umbruch. Demokratie in Gefahr?»). Die Mediengewohnheiten verändern sich – weg von den klassischen Qualitätsmedien im Print- und TV-Bereich hin zu den sozialen Medien und Gratiszeitungen mit grossen Reichweiten und tiefen Qualitätsansprüchen. In den sozialen Medien ist der manipulative Umgang mit der Wahrheit zu einem Faktor in der politischen Meinungsbildung geworden, deshalb der Untertitel «Demokratie in Gefahr?».

Dramatischer Rückgang von Werbung und Abonnenten

Unter den veränderten Mediengewohnheiten leiden vor allem die klassischen Zeitungstitel, unabhängig von Ausrichtung und Region. Die Erkenntnis ist einfach: Mit qualitativ hochwertigem Journalismus lässt sich kein Geld mehr verdienen. Weil Abonnenten- und Werbezahlen einbrechen, streichen alle grossen Verlagshäuser Stellen und sparen Kosten. So ist der moderne Medienschaffende heute Rechercheur, Texter, Layouter und Korrektor in der gleichen Person. Wird er künftig auch für die Kunden- und Inserate-Akquisition eingesetzt, weil er sein Produkt am besten erklären kann?

Obwohl die Werbeeinnahmen der gedruckten Presse zwischen 2007 und 2015 um 42,3% gesunken sind, mag «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz nicht schwarzmalen – er sieht die Medien in der Pflicht, vermehrt Bürgernähe zu suchen und verständlicher zu schreiben. Zeitungen griffen nach wie vor relevante Themen auf, würden vielfältiger und könnten weiterhin gut recherchierte Geschichten anbieten. Der Kostendruck begünstige Fusionen und Kooperationen, was unter dem Strich sogar zu einer Verbesserung der journalistischen Qualität geführt habe: So seien in der Vergangenheit dank hartnäckigen Recherchen zahlreiche Skandale aufgedeckt worden. Stichworte sind etwa: Panama-Papers, Korruption in Bundesämtern, Kasachstan-Affäre.

Medien als politische Entscheidungshelfer

Erstaunlich und tröstlich: Klassische Medien bleiben in der Schweiz unverzichtbar für die politische Meinungsbildung; 83% der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nutzen Informationssendungen von Radio und TV und die politischen Rubriken der Zeitungen, um sich vor Abstimmungen und Wahlen zu informieren. Klassische Informationsquellen wie Medienberichte, Kommentare, das Bundesbüchlein sowie Parteiversammlungen und -parolen sind weiterhin wichtig. Gemäss Politologieprofessor Adrian Vatter sind 70 – 75 % der Schweizerinnen und Schweizer mittel bis gut über Vorlagen informiert, über die sie abstimmen. Gleichzeitig nimmt aber die Zahl der schlecht oder nicht Informierten («News-Deprivierten») zu. Die Frage, wie Wahl- und Stimmabstinente befähigt werden können, an die Urnen zu gehen, bleibt eine Herausforderung. Dass Wählerinnen und Wähler aus Ressentiments und Vorurteilen heraus ihre Stimme abgeben, ist in der Schweiz erst am Rande ein Thema: Zwar gibt es ab und zu populistisch beeinflusste Volksentscheide, aber in der Regel hat der Souverän ein feines Gespür für die staatspolitischen Auswirkungen von Verfassungs- und Gesetzesvorlagen. Zudem ist unser politisches System durch seine direktdemokratischen Möglichkeiten gegen Protestvoten resistenter als anderswo.

Online-Plattformen gewinnen an Bedeutung

Laut einer Untersuchung der Nachrichtenagentur Reuters nutzen weltweit bereits 51% der Menschen die Internet-Plattform Facebook als alleinige Informationsquelle. Facebook-Inhalte können durchaus seriöse Informationen enthalten, aber auch Fake-News und Hassbotschaften. Verstärkt durch andere Plattformen wie Twitter entstehen so Nachrichtenhypes, die nicht mehr zu kontrollieren sind. Falschmeldungen verbreiten sich rasend schnell, indem sie millionenfach geteilt werden – eine nachträgliche Richtigstellung erntet vielleicht noch einige Tausend Klicks. So wird die Klickrate zum alles entscheidenden Kriterium für die Verbreitung von News, deren Wahrheitsgehalt viele Empfänger nicht einordnen können. Der Journalist als klassischer Gatekeeper der Information, der durch Recherchen und Kommentare hilft, Meldungen einzuordnen und Fake-News als solche zu entlarven, spielt in den sozialen Medien keine Rolle mehr.

Es gibt kein Patentrezept

Was tun? Expertinnen und Experten sind ratlos, was die Entwicklung der klassischen Medien betrifft: Wenn alle Kooperationsmöglichkeiten ausgeschöpft, die personellen und finanziellen Ressourcen bis zur Schmerzgrenze optimiert sind, kommen grosse Medienverlage wie Tamedia, Ringier und NZZ irgendwann an den Punkt, wo sie sich fragen werden, ob sich die Zeitungsproduktion noch lohnt – oder ob sie sich Qualitätsmedien nur noch aus Imagegründen leisten wollen. Zwar sind die Verlage nach wie vor höchst profitabel, doch machen sie ihr Geld heute mit Onlineplattformen – und nicht mehr mit Flaggschiffen wie NZZ, Tages-Anzeiger oder Blick.

Müssen künftig Bürgervereinigungen mit Crowdfunding dafür sorgen, dass kritischer Journalismus eine Zukunft hat? Braucht es Stiftungen oder Genossenschaften, welche die Zukunft der klassischen Medien garantieren – unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen? Braucht es dramatische Aufrufe, doch bitte weiterhin Zeitungen zu abonnieren und nicht darauf zu setzen, dass ihre Inhalte weiterhin online und gratis zu haben sind?

Es gibt kein Patentrezept, weshalb die «Sieben goldenen Regeln für die Rettung der Qualitätsmedien» leider entfallen. Der Autor hofft, dass sein Beitrag tausendfach geteilt und kommentiert wird – damit eine Diskussion in Gang kommt, die vielleicht sogar etwas bewirkt.

Link zu den Referaten, Zusammenfassungen und Podcasts der Veranstaltung «Medien im Umbruch. Direkte Demokratie in Gefahr?»: http://www.forum.unibe.ch/forumsprojekte/aktuelles_projekt/