Trotz klarer Parlamentsmehrheit, trotz überwiegender Ja-Empfehlung von Wirtschaft, Verbänden und Parteien, trotz engagierten Auftritten von Energieministerin Doris Leuthard hatte es die Vorlage zur Energiewende erstaunlich schwer: Die letzte Umfrage vor den Wahlen zeigte eine bis zuletzt bröckelnde Zustimmung: In einer ersten Befragung gaben 61% der Befragten an, Ja oder eher Ja zu stimmen, 30% wollten ein Nein in die Urne legen. Am 10. Mai lag das Verhältnis von Ja- zu Nein-Absichten noch bei 56% zu 37%. Die Abstimmung vom 21. Mai ergab schliesslich eine Zustimmung von 58,2%. Wie war es möglich, dass eine pragmatische, politisch breit getragene Vorlage plötzlich zu scheitern drohte?
Die Interessenlage der politischen Parteien war klar: Die SVP hatte das Referendum gegen das Energiegesetz ergriffen und malte in der Abstimmungskampagne das Schreckensszenario des Kaltduschens, sprich: unsicherer Energieversorgung, an die Wand. Die FDP war tief gespalten, wie die knappe Zustimmung der FDP-Delegierten zur Ja-Parole zeigte (175 zu 163 Stimmen). Alle anderen Parteien standen klar hinter dem revidierten Energiegesetz. Die Wirtschaft war sich uneins, weshalb der Dachverband Economiesuisse auf eine Abstimmungsempfehlung verzichte-te. Einzelne Branchenverbände engagierten sich für ein Nein, besonders die Maschinen- und Pharmaindustrie: Sie warnten vor Versorgungslücken und höheren Energiekosten. Die Clean-techbranche, der Schweizerische Gewerbeverband und sogar der Bauernverband empfahlen hingegen ein Ja. Auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) unterstützte die Vorlage, nicht zuletzt, weil die grossen Stromkonzerne auf Stützmassnahmen für die Wasser-kraft hoffen, die wegen der tiefen Preise auf dem europäischen Strommarkt nicht mehr rentabel ist.
Das neue Energiegesetz sieht keine verbindlichen Ziele vor: Zwar soll der Gesamtenergieverbrauch pro Person bis 2035 um 43% sinken, der Stromverbrauch um 13 %. Das sind zum Einen nur unverbindliche Richtwerte ohne verbindliche Massnahmen, zudem sagen sie nichts über den Gesamtenergieverbrauch aus: Tatsächlich ist der Strom- und Energieverbrauch in den vergangenen Jahren in etwa konstant geblieben. Dies weil der Mehrverbrauch, bedingt durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, dank technischer Effizienzfortschritte aufgefangen werden konnte. Wenn die Schweiz ihre Klimaziele erreichen will, muss sie besonders bei den fossilen Brennstoffen bis 2030 ihre CO2-Emissionen halbieren. Experten sind skeptisch, ob dieses ehrgeizige Ziel im Verkehrsbereich zu erreichen ist. Obwohl das neue Energiegesetz weder der Industrie noch den Privathaushalten schmerzhafte Eingriffe abverlangt, ist es von Teilen der Politik und Wirtschaft vehement und mit beträchtlichen finanziellen Mitteln bekämpft worden.
Die Plakate des Nein-Komitees waren jenen der Linken gegen die Unternehmenssteuerreform III zum Verwechseln ähnlich («Der wahre Bschiss am Mittelstand»), was ihm Plagiatsvorwürfe eintrug. Die zum Teil drastischen Übertreibungen von hohen Kosten und Mangelwirtschaft wirkten wenig glaubwürdig und verfingen nicht: Am Abstimmungswochenende sagte eine deutliche Mehrheit von Volk und Ständen Ja zur Energiewende. Der Schweizer Bevölkerung war wichtiger, dass ein Grossteil unserer Mittel in einheimische, erneuerbare Energien fliesst. Der Verzicht auf Kernkraft erwies sich als mehrheitsfähig. Am deutlichsten war das Volks-Ja in den grossen Städten und Agglomerationen, so stimmte Genf dem Energiegesetz mit 72,5% Ja-Stimmen zu. Aber auch die Landkantone votierten teilweise deutlich dafür, darunter die Wasserkraftkantone Wallis, Graubünden, Tessin und Uri.
Welches waren die zentralen Erfolgsfaktoren für das politische Campaigning zur Energiewende?
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