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Zur Rolle der Partizipation in der kommunalen Energiepolitik

Geschrieben von Stephan Juen | 07. Mai 2018 | 09:43

Bei der Umsetzung der Energiestrategie 2050 denkt man an verbesserte Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energie, Energieeffizienz und Digitalisierung. Doch wie kann man den Menschen als den entscheidenden Faktor für die Energiewende gewinnen?

Die Annahme der Energiestrategie 2050 durch das Schweizer Stimmvolk im Mai 2017 ergab mit 58% Ja-Stimmen ein klares Votum. Doch Heizöl ist noch immer der Energieträger Nummer 1 bei der Wärmeerzeugung von Gebäuden, auch bei Neubauten. Förderungen für die thermische Gebäudesanierung werden in vielen Kommunen nicht ausgeschöpft. Der «Faktor» Mensch erweist sich als kritischer Faktor in der Transformation hin zu einer nachhaltigen und energieeffizienten Gesellschaft. Der Frage, wie die Sozialwissenschaften die gesellschaftliche Transformation zu einer energieeffizienten Lebensweise fördern können, stellt sich Prof. Ortwin Renn: «Es ist unumgänglich, dass die wichtigen Akteure der Gesellschaft, die ja bei der Energiewende mit transformiert werden soll, in die Gestaltung der Transformation einbezogen werden.»  Es gelte Prozesse zu entwerfen und auf lokaler Ebene durchführen, die zu wirksamen Entscheidungen und deren Umsetzung führten. Eine Kurzbefragung von 140 Schweizer Energiestädten bestätigt dies: Die Aussage «Die Beteiligung der Bevölkerung ist für die Umsetzung energiepolitischer Ziele wichtig» erhielt eine Zustimmung von 81 von 100 möglichen Punkten. In der Befragung des Kommunalmagazins geben 54% der Befragten an, dass sie Partizipation gelegentlich nutzen. 12% setzen partizipative Verfahren in der Umsetzung von energiepolitischen Massnahmen häufig ein, weitere 22% selten und 10% der Kommunen nutzen Partizipation bisher noch nicht. 2% der Befragten antworteten hier nicht.

Klassische Partizipationsformate

Die Klassiker der Partizipation wie Open Space Workshop oder Zukunftswerkstatt leisten gute Basisarbeit. Mit ihrer starken Verbreitung und hohen Wirksamkeit tragen sie zur Anerkennung von Partizipation bei. Diese Klassiker sind gut geeignet, wenn eine gemeinsame Basisvision, ein Fundamt für den Aufbau von etwas Neuem zu schaffen ist. Doch in der kommunalen Energiepolitik sind wesentliche Eckpfeiler wie ein Energiekonzept oder Energiestadtmassnahmen oft bereits politisch abgestimmt, also «gesetzt». Ehrlichkeit und Authentizität im Umgang mit den Bürgern gebieten die Fairness sowie die Standards einer guten öffentlichen Beteiligung. Daher kann es in diesen Situationen nicht mehr um das Was, sondern nur mehr um das Wie gehen. Hier lässt sich über Konsultationen mit den Bürgern ein gemeinsamer Umsetzungsweg erarbeiten.

Aufsuchende Partizipation

Für einen Open Space Workshop sollten sich Teilnehmende einen oder eineinhalb Tage Zeit nehmen. Ein Manko dieser für die Teilnehmer zeitaufwändigen Verfahren ist, dass nur ein bereits motiviertes Segment der Bevölkerung sich die erforderliche Zeit nimmt.

Ein Gebietsbetreuer einer Stadt schildert: «Und wieder hielten wir einen unserer Partizipationsworkshops ab, wie immer kamen dieselben Leute: gebildet, gutes Einkommen, fortgeschrittenes Alter und ökologisch aufgeklärt.» Um für die Gestaltung eines Platzes einen breiten Querschnitt der Nutzer einzubeziehen, sprachen Befrager Passanten aktiv an und holte ihre Vorstellungen für die Neukonzeption vor Ort ein. Sie nützten Begegnungspunkte wie ein nahegelegenes Cafe, um Meinungen zur Gestaltung zu gewinnen. Die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und Anwohner liessen sich so in höherem Ausmass in die Platzgestaltung integrieren.

Online Partizipation

Die Nutzung von Online-Kanälen bildet eine weitere Option, um den Einbezug von gesellschaftlichen Gruppen zu steigern. Hybride Vorgehensweisen, also Online-Formate der Bürgerbeteiligung ergänzend zu persönlichen Begegnungen, sind auf kommunaler Ebene erfolgsversprechend. Experten raten zur Nutzung von Portalen , in denen sich die Menschen bereits bewegen. Denn es brauche einen hohen Kommunikationsdruck, Menschen in ein eigenes Partizipations-Webportal zu bringen. In Situationen, die eine besondere Erkenntnistiefe erfordern, kann die Nutzung eines Online Portals mit geeigneten Instrumenten wertvoll sein, zum Beispiel maptionnaire.com. Portale mit Kommunikationsfeatures ermöglichen einen vertieften Austausch der Bewohner untereinander oder zwischen Verwaltung und Bürgern und etablieren eine Kultur des Austauschs (mein Dorfplatz.ch; 2324.ch; fuerenand.ch).

Positive Erfahrungen gibt es mit lokal verfügbaren Apps., die eine bereits analog vernetzte Community zusätzlich online verbindet, wie beispielsweise die ErlenApp für das 2000-Watt-Areal Erlenmatt West in Basel. Portalen mit einem überregionalen Einzugsbereich wird steigendes Potential zugesprochen, wie zum Beispiel engage.ch, das sich den Anliegen junger Menschen verpflichtet fühlt. Die Annahme des Postulates «Die Chancen von Civic Tech nutzen» durch den Ständerat am 27.02.18 spricht dafür, dass neue Formen der politischen Partizipation und zusätzliche Beteiligungsmöglichkeiten im Kommen sind.

Wissen, was wo wie zu tun ist

Unsere Befragung zeigt, dass die Vielzahl möglicher Beteiligungsformen erkannt wird. So wurden siebzehn partizipative Verfahren genannt. Die Aussage «Ich bin der Meinung, dass man bei uns über die Möglichkeiten der Einbeziehung der Bevölkerung gut informiert ist und im genau richtigen Ausmass davon Gebrauch macht» erhielt 61 von 100 möglichen Punkten. Die Gemeinden praktizieren Partizipation offenkundig bewusst und holen sich auch kompetenten Rat. 58 % der befragten Gemeinden lassen sich von externen Experten beraten. 22% verneinen dies, weitere 20% beantworten diese Frage nicht. Die Mehrheit der Befragten schätzt das Aufwand–Nutzenverhältnis positiv ein. 9% der Befragten gibt an, dass der Nutzen deutlich grösser sei als der Aufwand. Für weitere 46% stehen Aufwand und Nutzen in einem guten und ausgewogenen Verhältnis. Immerhin beachtliche 33% sind der Meinung, der Aufwand übersteige den Nutzen. 9% gaben keine Antwort ab.

Eine breiter angelehnte Studie aus Deutschland zeigt ein ähnliches Bild: Ein Viertel der Befragten schätzt den Aufwand der Öffentlichkeitsbeteiligung größer ein als den damit einhergehenden Nutzen. Woran liegt es, dass trotz einer grundsätzlich bejahenden Einstellung zur Partizipation ein überraschend hoher Anteil der Befragten das Aufwand-Nutzen-Verhältnis kritisch sieht? Einen Anhaltspunkt liefert die Frage 4: «Ich bin der Meinung, dass bei uns eine fundierte Information über partizipative Prozesse sinnvoll wäre» erhielt eine Zustimmung von 52 %. Es gibt also auch in Kommunen mit einer gelebten und funktionierenden partizipativen Praxis zusätzlichen Informationsbedarf. Zudem wird ein lokaler Anpassungsbedarf evident. So erhielt die Frage 8 «Am besten wäre eine partizipative Vorgehensweise, die spezifisch an unsere lokale Situation angepasst ist» mit 61% eine sehr hohe Zustimmung.

Grundsätzliche Herausforderungen der Energiewende mögen sich ähneln, stehen aber immer in einem unterschiedlichen lokalen Kontext. Jede Gemeinde hat ihre eigene politische Kultur und Tradition. Da es bei der Bürgerbeteiligung um Menschen geht, wirken sich diese Besonderheiten bei der Anwendung von partizipativen Verfahren stärker aus als beim Einsatz einer technischen Innovation wie der Photovoltaik. Um eine steigende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Energiepolitik zu erreichen, sollten neue Wege gesucht werden, bisher wenig sensibilisierte Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Energiewende zu gewinnen (www.smartcommunity.pro). Dies begünstigt die Umsetzung der Energiestrategie 2050 und trägt zu einer Stärkung der Bürgerbeteiligung in der Kommunalpolitik bei. Die Projektdatenbank des Schweizerischen Gemeindeverbandes ist für Anregungen zu empfehlen.

 

Bildquelle:  Arnaud Jaegers on Unsplash