Wie steht es mit der Social-Media-Kompetenz von Schweizer Nonprofitorganisationen (NPO)? Als Pioniere von Social-Media-Kampagnen stechen die Umweltorganisationen WWF und Greenpeace heraus: Sie nutzen Soziale Medien seit vielen Jahren gezielt zur Dokumentation ihres Engagements, zur Mobilisierung ihrer Mitglieder und für Fundraising-Aktivitäten.
Vorbild für erfolgreiche digitale Kampagnen ist die Operation Libero, die 2014 als Antwort einer jungen Zivilgesellschaft auf Masseneinwanderungsinitiative und rechtskonservative Abschottungstendenzen entstand. Sie orchestriert seit 2015 mit einer durchdachten Social-Media-Strategie politische Kampagnen – mit beachtlichem Ergebnis: Die Bewegung war massgeblich daran beteiligt, dass die Durchsetzungsinitiative der SVP am 28. Februar 2016 von den Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern abgelehnt wurde – und sie verhalf 2017 sowohl der Asylreform wie der Vorlage zur erleichterten Einbürgerung zum Erfolg. Die Operation Libero hat daneben auch erfolgreich Crowdfunding betrieben und 150'000 Franken gesammelt, um den Burkaplakaten der SVP eigene Sujets entgegenzusetzen. Noch erfolgreicher ist das Medienprojekt Republik, das im Frühling 2017 mit dem Anspruch antrat, mit 750'000 Franken ein unabhängiges Online-Magazin zu realisieren – und mit einer Crowdfunding-Aktion über 3,5 Millionen Franken zusammenbrachte. Das Projekt ist 2018 erfolgreich gestartet.
Welche NPO sind fit für die digitale Transformation?
Inzwischen haben auch Parteien und Interessenverbände Social Media als Verstärker politischer Botschaften entdeckt. Sie promoten so nicht nur Abstimmungs- und Wahlkampagnen, sie sammeln via Online-Kanäle auch erfolgreich Unterschriften. Trotzdem sind erst wenige NPO fit für die digitale Zukunft: Der WWF kennt seit November 2016 einen Chief Digital Officer (CDO), der dafür verantwortlich ist, seine Organisation in die digitale Zukunft zu führen. Dass die Anzahl der Fans und Followers von NPO verglichen mit digital reifen Unternehmen noch vergleichsweise bescheiden sind, zeigt folgendes Rating (Stand: 2. April 2018):
Auffallend: Erst fünf der Top-12-NPO nutzen den aufstrebenden Kanal Instagram, der ein jüngeres, tendenziell weibliches Publikum anzieht. NPO und Verbände werden in den kommenden Jahren ihre Social-Media-Kompetenz schärfen müssen. Sie sind gefordert, mit einem strategisch geplanten Einsatz von Sozialen Medien die Anzahl ihrer Fans und Followers, ihre Reichweite und die Zahl der Interaktionen zu vergrössern.
Berührendes Storytelling schafft Aufmerksamkeit
Ein wichtiges Mittel, Menschen zu berühren und in Kampagnen einzubinden, ist das Storytelling. Berührende Geschichten machen Menschen betroffen und empfänglich für Hilfs- oder Spendenaufrufe. Social Media eignen sich bestens für Formate, die Text und Bild zu bewegten und bewegenden Geschichten verschmelzen. Eine erfolgreiche Social-Media-Strategie beruht auf relevanten, regelmässig und klug gestreuten Inhalten. Strategisch geplantes Content-Marketing sorgt dafür, dass die Zielgruppen über Social-Media-Kanäle auf die eigene Website geholt – und in überzeugte Mitglieder, Unterstützer oder Spender verwandelt werden.
Anders als bei klassischen Marketingkampagnen, die nach dem Bowling-Prinzip den grossen Wurf ins Ziel anstreben, funktioniert Social-Media-Marketing nach dem Modell des Flipperkastens: Es gilt, die Kugel möglichst lange im Spiel zu halten und ein Maximum von Touchpoints zu sammeln. Dadurch entstehen Kontakte zu Menschen, die an den angebotenen Themen, Dienstleistungen oder Produkten interessiert sind. Organisationen verstärken diesen Effekt, indem sie Kontaktbereitschaft signalisieren, auf Fragen antworten und Kommentare wertschätzen.
Social Media helfen so, das öffentliche Interesse an einer Kampagne über den Zeitraum der Lancierung hinweg wachzuhalten und die Reichweite kontinuierlich zu erhöhen. Ein abwechslungsreicher Content-Mix sorgt dafür, dass die Aufmerksamkeit der Community erhalten bleibt. Ziel jeder Social-Media-Strategie ist die Erhöhung der Reichweite: Je mehr Nutzerinnen und Nutzer eine Organisation um sich schart, desto höher ist der «Share of Voice» und desto effizienter können Botschaften platziert werden.
Erfolgreiche Kampagne «Free Giacobbo»
Die Reichweite ist entweder «owned» (gewonnen über eigene Kanäle wie Blog, Facebook oder Twitter), «paid» (bezahlte Reichweite z.B. durch Facebook-Ads) oder «earned» (über Nutzer erworbene Reichweite, indem diese die Posts einer Organisation teilen oder kommentieren). Earned ist jene Reichweite, die mit geschickten Social-Media-Kampagnen verdient wird. Doch wie erreichen NPO das? Ganz einfach: durch kreative Ideen, welche die Menschen überzeugen und zum Handeln bringen.
Ein gutes Beispiel liefert die Kampagne «Free Giacobbo» der Schweizer Sektion von Amnesty International: Die Petition für den burmesischen Komiker Zarganar, der in seiner Heimat zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wird im Mai 2011 durch eine aufsehenerregende Twitter-Kampagne lanciert. 150 aktive Twitter-User werden am Sonntagabend gebeten, die Freilassung des angeblich verhafteten Schweizer Satirikers Viktor Giacobbo zu fordern. Grund seiner Verhaftung: Beleidigung des Bundesrats. Die Tweets enthalten den Link zu einem Video auf YouTube, das Giacobbo in einem angeblichen Gefängnis zeigt. Der Satiriker erklärt das Schicksal seines burmesischen Kollegen und fordert die User auf, die Amnesty-Petition zu unterschreiben. Durch Retweets verbreitet sich das Video rasch und wird auch von Journalisten gesehen. Am Montagmorgen ist das Thema bereits Titelgeschichte auf der Online-Plattform blick.ch («Giacobbo wandert für Kollegen in den Knast»). Das YouTube-Video hat 67’400 Aufrufe, die Facebook-Seite von Amnesty Schweiz gewinnt innerhalb von drei Tagen 2'500 Follower – eine Verdoppelung der bisherigen Community. Und nicht zuletzt: Amnesty Schweiz erhält via Newsletter über 20'000 Unterschriften für die Freilassung des burmesischen Satirikers.
Die Aktion enthält alles, was erfolgreiches Content Marketing als Teil von Inbound Marketing ausmacht: eine überraschende Idee, einen prominenten Influencer, Dramatik und einen bewegenden Aufruf, der die Menschen berührt und zum Handeln auffordert. Und vor allem: Sie transportiert ein auf Dauer angelegtes Nutzerversprechen, das für vergleichbare Aktionen wiederholt werden kann. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist schliesslich die Einlösung des Versprechens: Zarganar wird im Oktober 2011 von den burmesischen Machthabern zusammen mit weiteren politischen Gefangenen freigelassen.
Bildquelle: WWF